Begegnung mit einer kleinen Prinzessin
Eine Reise nach Mittelägypten
Birgit Hampl
Veröffentlicht in aMun, Heft Nr. 33, Juli 2007
Die sechs Besucher, die sich im großen Ausstellungssaal des Museums in Mallawi befinden, machen einen verfrorenen Eindruck. Es ist Februar, Ägypten daher unbeheizt, und der Saal liegt in düsterem Licht. Alle paar Sekunden klickt ein Fotoapparat, alle Augen sind konzentriert auf die Vitrinen mit den vielen Kunstschätzen des Alten Ägypten. Die Besucher sprechen sich zwar mit Zeina, Abu-el-Kersch, Hanan, Basim, Fatima und Schejb an, entpuppen sich jedoch als 2 Schwaben, 1 Bayer und 3 Berliner – alles Mitglieder der Freundeskreise der ägyptischen Museen von München und Berlin, die sich für eine Reise nach Mittelägypten zusammengetan haben.
Das Objekt der besonderen Begierde hier in Mallawi ist eine kleine, unscheinbar exponierte Statue: Eine Prinzessin aus der Amarnazeit, eine der Töchter Echnatons. Sie ist aus weißem Kalkstein gefertigt, der noch Reste von Bemalungen an Augenumrandungen, Brauen und Lippen zeigt. Die Prinzessin ist in stehender Haltung dargestellt, mit ihrer rechten Hand eine runde Frucht vor ihren gänzlich unbekleideten Körper haltend. Diese Nacktheit sowie die Jugendlocke, die an ihrer rechten Kopfseite recht grob und auffällig herausgearbeitet ist, sind traditionellen Kinddarstellungen entlehnt, jedoch weisen ihre ausgeprägten Hüften, die Bauchregion, die Oberschenkel und ihre Brüste deutlich frauliche Formen auf. Auch das Gesicht hat keinerlei infantile Aspekte, vielmehr sind ihre Gesichtszüge fein und sehr sensibel herausgearbeitet: Die rot bemalten Lippen sind voll und sinnlich, sie vermitteln jedoch in ihrer geschlossenen, ernsten Form auch ein wenig Bitterkeit und das frühe Wissen um die Schattenseiten des Lebens. Hochgezogene Augenbrauen über den Mandelaugen und Nasenflügel, die zu beben scheinen, vervollständigen den höchst empfindsamen Eindruck der Prinzessin. Die Frucht in ihrer Hand ist wohl als Granatapfel zu deuten, was noch einmal auf die Weiblichkeit und Fruchtbarkeit der Prinzessin hinweist.
Es ist wohl anzunehmen, daß in der Amarnazeit eine ganze Reihe solcher Statuen hergestellt wurde, damit auf den Hausaltären altägyptischer Familien die Weiblichkeit als elementarer Teil des von Aton erschaffenen Lebens verehrt werden konnte.
Die perfekte Verschmelzung von Kindlichkeit und sinnlicher Femininität machen diese Statuen der Amarna-Epoche auch für den heutigen Betrachter zu etwas ganz Besonderem.
Zweifellos war Amarna auch das Hauptziel der Reise - nicht nur für unsere Berliner Teilnehmer -, und es versteht sich von selbst, daß wir alle offenen Gräber im ehemaligen
Achet-Aton trotz drohender dunkler Wolken und Regenschauer (!) ausführlich besichtigten. Da mittlerweile selbst zum Königsgrab eine bequem ausgebaute Straße führt, gab es auch kein
zeitaufwändiges logistisches Problem.
Die Reise, die uns von Luxor über Sohag nach Al-Minya und wieder zurück nach Luxor führte, brachte uns außerdem zu so bekannten Orten wie Dendera, Abydos, Beni Hassan mit dem Speos Artemidos und Tuna el-Gebel, aber auch noch zu sehr viel weniger besuchten Orten wie Tehna el-Gebel, dessen griechisch-römische Ruinen wir bei warmem Abendlicht besuchen konnten, Zawiet el-Meitin, den größten Friedhof der Welt mit Kuppelgräbern bis zum Horizont und den Resten einer kleinen Pyramide, sowie die sogenannten Frasertombs aus dem Alten Reich.
Ein besonderes Erlebnis war auch der Steinbruch von Zawiet Sultan, zu dem uns Abu el-Kersch mit der unschätzbaren Hilfe von Google-Earth-Ausdrucken souverän hinführte. Im dortigen Nummuliten-Kalkgestein sind heute noch u.a. die zur Zeit des Neuen Reiches eingeschlagenen Umrisse einer königlichen Kolossalstatue zu sehen, die mit ca. 20 m Höhe die größte Standfigur Ägyptens hätte werden können, aber leider niemals fertiggestellt wurde.
In der Nähe von Sohag ließen sich im Weißen Kloster (neben vielen freundlichen, gläubigen Menschen und bunten Verkaufsbuden) nicht nur einige Steinblöcke mit pharaonischen Reliefs finden, sondern auch ein altägyptischer Naos, der ursprünglich aus Athribis stammen soll.
Gleich benachbart zum Open-Air-Museum von Akhmin mit der wunderschönen Monumentalstatue von Merit-Amun konnten wir auch eine neuere Ausgrabung besichtigen, die bereits den
unteren Teil einer riesigen Sitzstatue Ramses II hervorgebracht hat.
Wir hatten Abu aus Theben West mit seinem kleinen Bus engagiert, der u.a. bereits für das Oriental Institute Chicago und das spanische Grabungsteam, das am Senenmut-Grab arbeitet, tätig gewesen ist. Er brachte uns nicht nur glatt und zügig an alle unsere Ziele, sondern unterstützte uns auch sonst auf angenehmste Weise. Vor allem die obligatorische Polizeibegleitung wurde von ihm immer so organisiert, daß wir kaum Wartezeiten an den jeweiligen Ablösestellen hatten.
Auf diese Weise hatten wir auf der Rückfahrt Richtung Süden auch noch genügend Zeit, uns die Gaufürstengräber der 6. und 12. Dynastie in Meir anzuschauen.
Die ersten beiden Gräber (Ukh-Hotep, C6, und Senbi, C5), enttäuschten uns etwas, da vom Wandschmuck (sofern je vorhanden) nur wenige Reste erhalten sind. Trotzdem wurde jede Wand von unserer ägyptomanen Gruppe mit der üblichen Gründlichkeit besichtigt und fotografisch festgehalten, und zwar in der inzwischen eingespielten Arbeitsteilung (Beleuchter, Fotografen, Infostelle mit Büchern und Kopien, Vorleser, Reliefsucher, Hieroglyphen-Entzifferer, u.v.m.).
Bei der Besichtigung der weiteren Gräber (Nr. 1- 4) verfielen wir dann aber sofort dem Charme der bunten Lebendigkeit der dargestellten Szenerien, die durch ihre Vielfalt und die zum Teil sehr kräftigen Farben bestechen: Matrosen, Bauern, Jäger, Abydos-Wallfahrten der Grabbesitzer, Sänger, die sich die Hand ans Ohr halten, um die eigene Stimme besser zu hören, Musikanten mit Harfe und Flöte, Ringer und Kämpfer, Giraffen und Esel, kalbende Kühe und kämpfende Stiere, Schreiber, die alles notieren, und Lotusteiche voll von Welsen, Seeschlangen, Schildkröten, aggressiven Krokodilen und brüllenden Nilpferden, und immer wieder Heerscharen von Opferträgern, sowie in Grab Nr. 3 und 5 die berühmten abgemagerten Beduinen, die fette Rinder herbeibringen.
Bevor wir wieder nach Luxor zurück-kehrten, besuchten wir Abydos ein zweites Mal, um außer den monu-mentalen Gräbern des frühen Alten Reiches, die wir bei unserem ersten Stop bei der Herfahrt, durch einen Sandsturm dramatisch unter-malt, gesehen hatten, nun auch weitere Highlights des Gebietes zu inspizieren: den langen Zugang zum Osireion mit den interessanten Darstellungen der Unterwelt sowie den Tempel von Ramses II mit seinen Knallfarben.
Zurück in Luxor empfingen uns die Schilder „Smile, you are in Luxor“ und „You are in the embrace of history“, - was wir so nur bestätigen konnten. Schließlich bildeten eine Ballonfahrt über Theben West und ein interessanter Vortrag von Hourig Sourouzian im Mumifizierungsmuseum über den aktuellen Stand der Ausgrabungen des Amenophis III-Areals den Abschluß dieser bemerkenswerten Reise.
Bemerkung: Das Museum von Mallawi wurde im August 2013 fast vollständig zerstört und ausgeraubt, und die im Artikel erwähnte Prinzessin wurde gestohlen. Glücklicherweise ist sie im November 2013 beim Inhaber eines Kaffeehauses in Kairo wieder aufgetaucht. Sie bedarf zwar einer Reparatur, ist angeblich jedoch nicht besonders schwer beschädigt.